5 | DER FALTER NOVEMBER 2024 nes gewissen Arthur Smyth. Sie ahnt nicht, wie eng ihr eigener Lebensweg mit dem des Engländers verwoben ist, der sich einst als hochbegabter Junge durch die Elendsviertel des viktorianischen Londons Mitte des 19. Jahrhundert kämpfte. Dieser Arthur entwickelte schon in jungen Jahren ein großes Interesse am Gilgamesch Epos und der sagenumwobenen Stadt Nivine in Mesopotamien, wo mit dem grausamen Herrscher Assurbanipal die Geschichte ihren Beginn findet. Die Autorin Elif Shafak schreibt in einer soghaften, opulenten Erzählweise aus unterschiedlichen Zeiten, Lebensräumen und Religionen über die Macht jahrhundertealter Konflikte und über die Flüchtigkeit menschlichen Daseins. Das alles verbindende Element ist das elementare Gedächtnis des Wassers, denn: Das Wasser erinnert sich. Nur die Menschen vergessen (Seite 29). Eine Reise der ganz besonderen Art beschreibt Sarah Brooks „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“, Verlag Bertelsmann. Es heißt, diese Reise habe ihren Preis. Einen Preis, der über die Kosten des Tickets hinausgeht. Ende des 19. Jahrhunderts faszinieren die Menschen die geheimnisvollen, Angst einflößenden Wunder des Ödlands. Nichts berührt diese riesige, verlassene Wildnis zwischen China und Russland außer dem Transsibirien-Express, der jeden befördert, der es wagt, das Ödland zu durchqueren. Unter ihnen eine trauernde Frau, die unter falschem Namen reist, ein in Ungnade gefallener Naturforscher, der Captain des Zuges, der eine Frau ist und Weiwei, das Zugkind. Dies wurde vor 16 Jahren an Bord geboren und hat den Zug seitdem nicht verlassen. Der Zug selbst gleicht einer hermetisch abgeschlossenen Festung. Es heißt, wer zu lange nach draußen blickt, durch den blickt das Draußen zurück! Doch schon bei der vergangenen Reise passierte Unerklärliches. Das Fensterglas bekam Risse und „etwas“ drang ein. Niemand weiß genau, was da passierte, aber die Angst schwebt nun über der Besatzung und den Passagieren. Das Unglück nimmt seinen Lauf. Der ungewöhlich lange Titel erklärt sich aus der Lektüre. Das Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland ist zugleich Reise- als auch Abenteuer- und Fantasyroman. Vor allem aber hebt der Roman sehr deutlich die Auswirkungen des Reisens auf die menschliche Psyche und den veränderten Blick auf die Welt hervor, denn alle Beteiligten durchleben eine Transformation. Zuletzt: Olga Tokarczuk; E. E., Kampa Verlag. Breslau 1908: Als eine der mittleren Töchter einer kinderreichen Familie führt Erna Eltzner ein eher unauffälliges Leben. Das ändert sich, als sie wenige Tage nach ihrem 15. Geburtstag ohnmächtig wird. Nicht nur hört sie plötzlich Stimmen, auch ein Geist erscheint ihr. Ihre Mutter ist in heller Aufregung. Zeigen sich in ihrer Tochter die medialen Fähigkeiten, über die auch sie zu verfügen meint? Wenn Frau Eltzner nun zu Séancen einlädt und Erna mit den Seelen Verstorbener in Kontakt tritt, herrscht feierliche Stille in der Wohnung. Die Fünfzehnjährige wird zum Phänomen, zum Fall E. E. Frau Eltzner war noch sehr jung und voller Pläne, als ihr erste Kind geboren wurde. Dem Mann scheint es zu genügen, beim gemeinsamen Mittagessen die ganze Familie am Tisch versammelt zu sehen. Seine Kinder nimmt er als eine zusammenhängende Größe wahr, seine Frau findet selten einen Weg in seine Aufmerksamkeit und fühlt sich von ihm zutiefst unverstanden. Erna Eltzner, die mittlere Tochter ist mitten in der Pubertät und verspürt das Bedürfnis, als Individuum wahrgenommen zu werden. Nach einer plötzlichen Ohnmacht wird zum Schlafen in Mutters Bett gelegt und von da an mit Aufmerksamkeiten umsorgt. Noch im geschwächten Zustand meint sie Stimmen zu vernehmen, die sie nicht zuordnen kann. Und Tags darauf erblickt sie einen Geist, durch den das Muster der Tapeten durchscheint. Zur Verzückung der Mutter scheint Erna telekinetische Fähigkeiten zu entwickeln – oder entspricht sie etwa den zahlreichen Erwartungen und Rollenvorstellungen der vielfach dazu gerufenen Erwachsenen? Olga Tokarczuk, Literaturpreisträgerin und selbst ausgebildete Psychologin, ist stark von Sigmund Freuds Schüler C. G. Jung und dessen analytischem Ansatz beeinflusst. Zudem hat sie eine Vorliebe für eigenwillige Figuren, denen sie sich mit viel Empathie nähert, wie z. B. dem Arzt Dr. Vogel, der Freud zitiert: Wenn das Unbewusste unserem Bewusstsein nicht zugänglich ist, wie können wir dann wissen, dass es existiert? Naturgegeben kann diese Frage im Roman nicht eindeutig beantwortet werden. Die Handlungen bewegen sich frei zwischen Aberglauben und Wissenschaft und lassen viel Spielraum für eigene Interpretation. Diese, und viele weitere schöne Neuerscheinungen halten wir für Sie bereit. Und was kann es Schöneres geben, als bei herbstlichem Schmuddelwetter Zeit in der Buchhandlung Ihrer Wahl zu verbringen!? Ihre Sabine Sauerbrey, Buchhandlung Schöningh. 0HLQ :RKQHQ 0HLQ /HEHQ :RKQ]LPPHU 6FKODI]LPPHU I]LPPHU (VV]LPPHU Weingartenstr. 35 • 97337 Dettelbach/Main Telefon: 0 9324/12 54 Exzellenter Service, Expertise mit Herz - Ihre perfekte Einrichtung, maßgeschneidert für Sie!
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